„Wie geht es dir?“ – „Gut.“
Diese kurze Antwort begleitet viele von uns seit Jahrzehnten. Sie kommt automatisch über die Lippen, fast schon reflexhaft. Doch was, wenn es uns gar nicht gut geht?
Wir haben gelernt, nicht zu klagen. Stark zu sein. Durchzuhalten. Und wenn das Leben uns etwas Schweres zumutet, suchen wir das Positive: „Für etwas wird es schon gut sein.“
Diese Haltung zieht sich durch eine ganze Generation – und sie prägt uns bis heute.
Warum wir gelernt haben, stark zu sein
Historiker und Sozialwissenschaftler zeigen: Die Nachkriegs- und Wirtschaftswundergeneration war geprägt von Pflichtbewusstsein, Disziplin und der Erwartung, nicht über Gefühle zu sprechen (Nolte, 2012). Für Schwäche war kein Platz.
Viele von uns sind in diesem Klima aufgewachsen. Wir haben von klein auf mitbekommen, dass Jammern „schwach“ ist, dass Gefühle zu zeigen unangebracht wirkt, dass man „sich zusammenreißen“ muss.
Die Psychologie spricht von emotionaler Suppression – dem Unterdrücken negativer Gefühle (Gross & John, 2003). Kurzfristig kann diese Strategie stabilisieren. Aber langfristig hat sie ihren Preis:
- dauerhaft erhöhtes Stresslevel,
- höhere Anfälligkeit für Burnout und Depression,
- Schwierigkeiten, authentische Beziehungen zu leben.
Und Studien gehen noch weiter: Menschen, die regelmäßig Emotionen unterdrücken, haben ein signifikant höheres Risiko für körperliche Erkrankungen und sogar eine höhere Sterblichkeit (Chapman et al., 2013).
Die Falle des „immer Positiven“
Natürlich ist es wertvoll, das Gute im Schlechten zu sehen.
Die Resilienzforschung zeigt, dass positive Neubewertung (Reframing) Menschen in Krisen unterstützen kann (Tugade & Fredrickson, 2004).
Doch wenn wir ausschließlich in diesem Muster verharren – alles zu relativieren, zu beschönigen, umzudrehen – entsteht ein Ungleichgewicht:
👉 Wir verlernen, offen zu sagen, wenn es uns schlecht geht.
👉 Wir verlieren den Zugang zu unserer Verletzlichkeit.
👉 Wir laufen Gefahr, uns selbst ein Bild vorzuspielen – und der Welt ebenso.
Eine aktuelle Studie zeigt sogar: Wer bei der Verfolgung persönlicher Ziele negative Gefühle ständig unterdrückt, verliert Motivation und erreicht seine Ziele seltener (Soto et al., 2016).
Mit anderen Worten: Dieses „immer stark sein“ kann uns langfristig daran hindern, das zu erreichen, was uns wirklich wichtig ist.
Ein Generationsproblem – und die Einladung zur Veränderung
Wir sind eine Generation, die gelernt hat, sich hinter Stärke zu verstecken.
Und wir tragen dieses Muster unbewusst weiter – in unsere Familien, in unsere Beziehungen, in unsere Arbeitswelt.
Doch die Wissenschaft zeigt auch: Authentizität, emotionale Offenheit und soziale Verbundenheit sind Schlüsselfaktoren für psychische Gesundheit (Kernis & Goldman, 2006).
Langzeitstudien belegen: Menschen, die authentischer leben, sind zufriedener, weniger gestresst und berichten über mehr Wohlbefinden (Boyraz et al., 2014).
Warum das wichtig ist
Wenn wir diese Muster durchbrechen, schaffen wir Raum für
- eine Kultur, in der Verletzlichkeit nicht Schwäche, sondern Menschlichkeit bedeutet.
- eine Kultur, die uns erlaubt, ehrlich zu sein – mit uns selbst und mit anderen.
- eine Kultur, die den kommenden Generationen zeigt: Stärke heißt nicht, Gefühle zu unterdrücken, sondern sie zu leben.
Eine Meta-Analyse verdeutlicht sogar, dass emotionales Wohlbefinden den Verlauf körperlicher Erkrankungen positiv beeinflusst (Chida & Steptoe, 2008). Mit anderen Worten: Authentizität schützt nicht nur unsere Psyche – sie wirkt bis in den Körper hinein.
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