Über Rot – und über die bedingungslose Liebe

Ein Text über das Bleiben, das Tragen und die stille Kraft der bedingungslosen Liebe.

Es gibt Sätze, die sich einbrennen.
„Soll ich über Rot fahren?“
Diesen Satz vergesse ich nie.

Es war einer dieser Momente, die alles verändern.
Als mich mein Mann in die Notaufnahme gefahren hat.
Ich halb benommen, verängstigt, still.
Er neben mir, voller Sorge, mit dieser Mischung aus Entschlossenheit und Hilflosigkeit.
Und dann kam diese Frage. Nicht, weil ihm Regeln egal waren.
Sondern weil ihm in diesem Augenblick nur eines wichtig war: ich.

Er ist nicht von meiner Seite gewichen.
Hat meine Hand gehalten, meine Angst ausgehalten,
mich begleitet.
In seinem Schweigen lag Trost.
In seinem Dasein – alles.

Bedingungslose Liebe zeigt sich nicht in den lauten Momenten.

Nicht in großen Reden, nicht in perfekten Fotos oder romantischen Gesten.
Sie zeigt sich, wenn einer schwach ist – und der andere bleibt.

32 Jahre Ehe. 37 Jahre Seite an Seite.
Und immer wieder diese kleinen Augenblicke,
in denen ich spüre, was uns wirklich verbindet.
Es sind nicht die schönen Tage, die Nähe schaffen.
Es sind die schweren.
Die Nächte im Krankenhaus.
Die Gespräche, die wir lieber vermeiden würden.
Die Tränen, die still fließen.
Die Umarmungen, die Fürsorge, das Dasein.

Bedingungslose Liebe – das klingt groß, fast übermenschlich.
Es geht hier nicht um die großen Gesten, die teuren Geschenke, die großen Worte der Liebe.

Vielleicht zeigt sie sich darin, dass man nicht wegläuft,
auch wenn man nicht weiß, wie es weitergeht.
Dass man bleibt, auch wenn man Angst hat.
Dass man sagt: Ich fahre dich. Ich bleibe.

Und das Schönste: Ich habe mich nie als Last gefühlt.
Weil Liebe dann am stärksten ist, wenn sie trägt – ohne etwas zu fordern.
Wenn sie nicht fragt, ob es bequem ist,
sondern einfach da ist.

Dieses Jahr war kein leichtes.
Wir haben viel erlebt. Nicht nur Schönes.
Aber in all dem Schweren lag so viel Schönes verborgen –
in den Blicken, in der Geduld, in der stillen Gewissheit,
dass wir einander haben.

Ich glaube, bedingungslose Liebe ist genau das:
Nicht Perfektion. Nicht Sicherheit.
Sondern eine Entscheidung. Eine Entscheidung füreinander. Täglich neu.
Ein Raum, der trägt, wenn alles andere wankt.

Seit 32 Jahren.
Und hoffentlich noch für viele, viele Rotphasen mehr.

Denn Liebe – wahre Liebe –
ist nicht, wenn alles leicht ist.
Sondern wenn man bleibt.
Über Rot, über Zweifel, über alles hinweg.


Autorin:
Anita Schmitt – Buchstabenhexe.
Schreibt über das Leben, die Liebe und die kleinen Wunder im Alltag.