Interview mit Anna Maria Boll – UNESCO Welterbe

Wir erleben gerade eine besondere Zeit. Zum Wohle unserer aller Gesundheit bleiben viele Menschen zu Hause und haben nur noch zu ihrer häuslichen Lebensgemeinschaft direkten Kontakt. Viele Menschen sind aber auch allein in ihrer Wohnung und fühlen sich durch die Isolation von Tag zu Tag mehr allein, vielleicht auch einsam.

Wir, das heißt Dr. Elisabeth Müller und Anita Schmitt möchten den Bürgern und besonders den Neubürgern von Bad Kissingen die Zeit ein wenig kurzweiliger gestalten und interessante Personen interviewen und Ihnen vorstellen. Heute haben wir einen besonderen Gast:

Anna Maria Boll, Site Managerin im Unesco-Team der Stadt Bad Kissingen

Liebe Frau Boll,  Sie wären heute unser Gast beim Neubürgerstammtisch am 16. April 2020. Als neue Site Managerin im UNESCO-Team der Stadt Bad Kissingen, das unter Federführung von Kulturreferent und Projektleiter Peter Weidisch die Aufnahme von Bad Kissingen in die UNESCO-Welterbeliste seit 2011 vorbereitet, haben Sie ein interessantes Aufgabengebiet. Heute geben Sie uns einen Einblick in diese Bewerbung und werden uns an bedeutsame Orte führen.
Zum Einstieg eine Bitte: Stellen Sie sich doch bitte kurz vor.

Guten Tag liebe Teilnehmer und Teilnehmerinnen des Neubürgerstammtisches!

Ich bin auch Neubürgerin in der Stadt Bad Kissingen, seit dem 1. Februar 2020 und würde Sie eigentlich gerne alle einmal persönlich kennen lernen!

Ich habe sieben Jahre in Bamberg gelebt, dort habe ich auch studiert und anschließend am Landesamt für Denkmalpflege gearbeitet. Ursprünglich stamme ich aus Frankfurt am Main.

Studiert habe ich Kunstgeschichte, Romanistik und Denkmalpflege in Frankfurt, Cagliari und Bamberg. Über die Denkmalpflege, meinen städtebaulichen Schwerpunkt und meine Masterarbeit im internationalen Kontext (Untersuchung in Italien eines nachhaltigen Tourismuskonzepts „Albergi Diffusi“ und dessen Potential für die städtebauliche Denkmalpflege) bin ich auch zum Projekt der Welterbebewerbung „Great Spas of Europe“ gekommen.

Internationale Zusammenarbeit, die Verbindung aus Tourismus und Denkmalpflege, Nachhaltigkeit sowie die Frage danach, wie man das immense Potential des Kulturgutschutzes für die Menschen bestmöglich zu nutzen kann, das sind Dinge, die mich umtreiben und der Grund, weshalb mir das Projekt ans Herz gewachsen ist.

Seit nunmehr drei Jahren arbeite ich nun im Projekt und habe dabei die unterschiedlichsten Aufgaben kennen gelernt und dieses wachsen gesehen. Anfangs arbeitete ich bei der Stadt Bad Kissingen bei der Erstellung des Lokalen Managementplan mit, dann vertrat ich die drei an der Bewerbung beteiligten deutschen Städte und Ministerien in der internationalen Arbeitsgruppe und habe an der Struktur des Antrags mitgewirkt. Auch war ich früh in die internationale Site Managerarbeitsgruppe eingebunden, so dass ich wirklich alle Arbeitsgruppen und beteiligten Experten kennen lernen durfte. Und ich kann sagen, das ist ein tolles Team!

Zu Bad Kissingen verbindet mich auch noch etwas ganz Persönliches: Meine Oma und mein Opa waren hier oft zur Kur und die Geschichten meiner Mama, die manchmal auch mit auf Kur gehen durfte haben mich schon immer begleitet. Immer wurde sehr positiv in Erinnerungen geschwelgt.

Als Mitglied der lokalen Arbeitsgruppe haben Sie Einblick in den aktuellen Stand der Bewerbung. Können Sie uns den aktuellen Stand sagen?

Ja, uns hat gerade gestern die Nachricht des Präsidenten der 44. Sitzung des Welterbekomitees aus China erreicht. Die Sitzung ist auf Grund der Corona Pandemie bis auf Weiteres verschoben und damit auch die Entscheidung. Ein Ersatztermin wurde noch nicht genannt.

Letztes Jahr im Januar wurde die Bewerbung im UNESCO-Headquarter in Paris eingereicht, im Sommer kamen ICOMOS-Experten zur Begutachtung in die elf Städte. Bis Anfang dieses Jahres wurde unser Antrag evaluiert, also begutachtet, weitere Fragen wurden an uns herangetragen und Antworten gemeinsam mit der Great Spas of Europe Gruppe verfasst. Nun warten wir alle sehr gespannt auf die Entscheidung. Die Experten müssten eigentlich schon eine vorläufige Empfehlung für die UNESCO verfasst haben, oder diese zumindest abgestimmt haben. Aber davon erfahren wir erstmal nichts. Das ist noch streng geheim.

Nun warten wir, aber wir haben alle Hände voll zu tun. Die Entwicklungen in den Städten gehen weiter. Wir haben uns zum Ziel gesetzt dieses Jahr ein Beratergremium mit international anerkannten Fachexperten zu gründen, und auch arbeiten wir an Möglichkeiten die Inhalte der Bewerbung noch stärker an die Locals zu vermitteln und diese auch an der Ideenfindung und -umsetzung für Aktionen zum Schutz, Erhalt und der Vermittlung der nominierten Welterbestätte gezielt mit einzubeziehen.

In der Lokalen Arbeitsgruppe Managementplan Bad Kissingen sind Vertreter der unterschiedlichsten Behörden, die alle Verantwortlich für den Schutz und die Verwaltung der – wie es so schön heißt: „Teilkomponente Bad Kissingen“- sind. Das reicht von der Bayerischen Staatsbad Bad Kissingen GmbH als Ansprechpartner für Tourismus und als Betreiber der Kuranlagen von Kurgärtnerei bis Staatsbadphilharmonie, über das Wasserwirtschaftsamt, über die Stadt- und Verkehrsplanung, die Wirtschaftsförderung, die Öffentlichkeitsarbeit, bis hin zu den verschiedenen involvierten staatlichen Behörden, das Landesamt für Denkmalpflege, die Immobilien Freistaat Bayern, das staatliche Hochbauamt, um nur einen Ausschnitt zu nennen.

Welche Plätze und Gebäude in Bad Kissingen sind von besonderer Bedeutung für die Bewerbung?

Auf der Übersichtskarte sehen sie unsere sogenannten „principal elements“, unter anderem Gebäude die eine besondere Bedeutung für die Bewerbung haben.

 

Zum Beispiel ist hier der südlich des Kurparks gelegene Schlachthof zu nennen. Er verdankt seine Form, Gestalt und prächtige Innenausstattung allein der Tatsache, dass er in einer Kurstadt von Weltformat steht. Die Größe bezieht sich direkt auf die große Zahl zu versorgender Gäste neben den Bürgern, die innenliegende Galerie wurde explizit für Kurgäste gebaut, die sich hier von den besonders guten hygienischen und damals top modernen Zuständen überzeugen konnten. Architektur wurde hier auch als Touristenmagnet genutzt- eigentlich ein ähnliches Prinzip wie auch mancherorts heute noch zu sehen ist, z.B. in Bilbao (Guggenheimmuseum) oder Dubai. Der hohe Giebel sollte zudem den Schornstein und damit den industriellen Charakter des Gebäudes verstecken um den ästhetischen Eindruck der Kurstadt nicht zu stören. Spezifische Kurstadtarchitektur also!

Ähnliches trifft auf das Kurgartenensemble zu: Alles rund um den Kurgarten. Hier reiht sich ein Ikonenbau neben den nächsten: Die Wandelhalle, die mit ihrer geschlossenen Form und ihrer modernen Heizungsanlage erstmals die Winterkur und damit eine Neuheit im Kurbusiness ermöglichte. Zudem wurde sie in Stahlbeton erbaut, damals eine völlig neue Technik und ebenso eine Attraktion, die neugierige Gäste anzog. Gleich daneben ist in der Brunnenhalle noch eine für die damalige Zeit höchst moderne Errungenschaft zu finden: Die Phosphor-Bronzeleitung, die bis heute einen hygienisch einwandfreien Wasserausschank ermöglicht. Man kann sagen, dass die Kur Triebfeder für eine höchst qualitative Architektur und Stadtentwicklung war.

Das Kurgartenensemble Bad Kissingens ist ein ganz spezifischer Beitrag innerhalb der Serie der Great Spas of Europe. Es ist auf Grund seiner herausragenden Architekturqualität von großer Bedeutung aber auch, weil z.B. der Kurgarten aktuellen wissenschaftlichen Erkenntnissen zu Folge, der erste Kurgarten ist, der explizit und ausschließlich für Kurzwecke geplant und errichtet wurde. Damit ist er ein Prototyp für andere Kurstädte. Ein weiterer Grund für seine bedeutende Rolle innerhalb der Serie „Great Spas of Europe“ ist, dass er bis heute seine Funktion als Dreh- und Angelpunkt der Kur erfüllt. Von der Trinkkur und dem Brunnenausschank über die regelmäßigen Konzerte der Staatsbadphilharmonie bis hin zur hier arbeitenden, dem Kurgarten Farbe und Flair verleihenden Kurgärtnerei und seiner Funktion als geselliger Treffpunkt der Kurgäste hat er seine Funktion auf ganz besondere Art und Weise bewahrt. Damit bringt Bad Kissingen auch einen entscheidenden sogenannten immateriellen (also einen nicht anfassbaren) Wert des Kurphänomens mit in die Gruppe ein.

Apropos immateriell, auch hier ist Bad Kissingen stark: traditionelle Medizin mit Bezug zu den Heilquellen ist in Europa in den letzten Jahrzehnten stark zurück gegangen. In Bad Kissingen gibt es sie aber noch, und damit ist Bad Kissingen auch Träger von kulturellem Wissen.

Es sind also nicht einzelne Gebäude, die uns zum Welterbestatus verhelfen werden, sondern es ist vielmehr die spezifische Form des Stadttypus Kurstadt, die sich von den Quellen ausgehend entwickelte und von einer umgebenden Kurlandschaft geprägt ist. In Bad Kissingen sind hier das nördliche und südliche Kurviertel zu nennen, mitsamt den Kliniken, Sanatorien, Gästeunterkünften, den Kultusbauten verschiedener Religionen und Konfessionen, den Spazier- und Promenadewegen, den Sportstätten vom Golfplatz im Süden bis zum Turniergebäude im Norden. An dieser Stelle ist auch die Anlage der Unteren Saline zu nennen. Hier bringt Bad Kissingen als einzige Stadt innerhalb der Serie mit Einrichtungen zur Nutzung und Aufbereitung von Sole einen weiteren entscheidenden Punkt mit in die Bewerbung ein. Das Areal rund um die Untere Saline steht für die Einbeziehung von Sole in die Kur. Das „Open Air“- oder Freiluftinhalatorium bildet heute noch den Schwerpunkt des nördlichen Kurviertels und mit dem alten Sudhaus und dem dazugehörigen Salzreservoir sowie den Pumpanlagen haben wir ein seltenes, überliefertes Ensemble und Beispiel für die Nutzung der Sole als Heilmittel.

Gemeinsam mit den anderen zehn europäischen bedeutenden Kurstädten bilden wir das Phänomen der europäischen Kur zu Ihrer Blütezeit zwischen 1700 und 1930 bestmöglich ab.

Außerdem leisteten Kurstädte im Allgemeinen, aber insbesondere die bedeutendsten, auch einen entscheidenden Beitrag zum modernen Tourismus. Die europäischen Kurstädte waren die ersten Reiseziele, die eine entsprechende Infrastruktur in touristischer Form aufwiesen- von Cafés und Aussichtstürmchen in der Kurlandschaft bis hin zu Transporteinrichtungen, wie in Bad Kissingen die Dampferle-Bootslinie oder in Montecatini Terme die noch intakte Standseilbahn. Man muss sich auch immer vor Augen halten, dass die Kurstädte sich meist mitten auf dem Land befinden und oft Kleinstädte sind. Dafür haben sie aber ein großes kulturelles und Freizeitangebot und eine komplexe Stadtstruktur. Das ist etwas Besonderes.

Sie sehen, die Bedeutung einzelner Elemente für die Bewerbung gehen weit über einzelne Gebäude hinaus. Die einzelnen Gebäude sind als Träger der Werte zu interpretieren. – Klingt komplex? Ist es auch.  Deshalb aber auch besonders spannend.

Welche Chancen sehen Sie, dass Bad Kissingen Weltkulturerbe wird?

Die Chancen, dass Bad Kissingen als Teil der Great Spas of Europe in die Welterbeliste aufgenommen wird, schätze ich als sehr gut ein.

Welche Auswirkungen wird die Anerkennung als UNESCO-Welterbe für Bad Kissingen haben?

Mit dieser Frage beschäftigen sich Peter Weidisch und ich, aber auch die ganze Site Manager-Gruppe, sehr viel und sie ist nicht leicht zu beantworten. Jede Welterbestätte ist anders und hat andere Anforderungen, andere Voraussetzungen und andere Managementstrukturen. Unsere Bewerbung umfasst elf Teile von elf lebendigen Städten in sieben Nationen, da sind andere Auswirkungen zu erwarten, als der Titel z.B. für ein Einzelgebäude wie die Würzburger Residenz haben kann.

Es können einem negative Entwicklungen in den Sinn kommen, wie zum Beispiel die Gentrifizierung von Stadtteilen, „Overtourism“, oder ein gesteigerter Investorendruck.

Generell ist zu sagen, dass wir als Stadt und Bürger es zum größten Teil, wenn nicht sogar ganz und gar, selbst in der Hand haben, wie wir diesen möglichen Auswirkungen präventiv entgegenwirken und wie sich die Auswirkungen in Bad Kissingen entwickeln werden.

Die Herausforderung besteht darin, die Ursachen so zu steuern und zu nutzen, dass sie der Welterbestätte keinen Schaden, sondern Nutzen bringen.

Dazu braucht es natürlich viele Experten, die sich einbringen. Aber das ist ja das tolle an dieser komplexen Bewerbung von elf Städten, die die unterschiedlichsten Bereiche vom Naturschutz, über den Heilquellenschutz, Tourismus bis hin zur Stadtplanung, den Denkmalschutz und die all die Nutzer in der Stadt miteinander vereint. – Alle, diejenigen, die sich täglich um die Stadt kümmern und in ihr leben und arbeiten können Experten sein.

Ziele des Managementplans der gemeinsamen Welterbestätte sind ganz prinzipiell der Schutz, Erhalt und die Vermittlung des der Stätte innewohnenden außergewöhnlichen, universellen Wertes (kurz OUV) kombiniert mit einem Schwerpunkt auf einer nachhaltigen Entwicklung, die man durchaus global denken darf.

Die Chancen für die elf Städte sind immens. Sie reichen von der internationalen Jugendarbeit, bis hin zur gemeinsamen Erarbeitung von Restaurierungskonzepten oder der gemeinsamen touristischen Vermarktung der Great Spas of Europe. Es kommt aber darauf an, was von der Politik und den Bürgern gewollt wird und welche Ressourcen zur Verfügung stehen.

Ich möchte Ihnen ein Zitat der deutschen UNESCO Kommission mit auf den Weg geben, welches die Wirkung von Welterbestätten ganz gut beschreibt:

„Welterbestätten sind Orte von besonderer Bedeutung für die Weltgemeinschaft. Sie dienen den Zielen der Globalen Nachhaltigkeitsagenda und dem Mandat der UNESCO, Frieden zu fördern. Welterbestätten bedürfen Schutz und Pflege. Die Einschreibung einer Kultur- oder Naturerbestätte in die Welterbeliste der UNESCO ist der Auftakt für die Aufnahme und Verstärkung von Bemühungen um Denkmal- und Naturschutz, nachhaltige Entwicklung, Vermittlung und interkulturelle Verständigung.“

 

In welchem Bereich sehen Sie die größte Herausforderung und wie wird die Arbeitsgruppe diese begegnen?

Die größte Herausforderung sehe ich darin, Strukturen zu schaffen, in denen Bürger und Bürgerinnen aus den elf Städten gemeinsam mit den verschiedenen Experten an Projekten arbeiten können und sich in das Management der Stätte einbringen können. Wir sind lebendige Städte. Da spielen alle Bürger und Bürgerinnen eine wichtige Rolle. Aktuell entwickeln wir im Team Konzepte hierzu zunächst auf lokaler Ebene.

Die Vermittlung der Werte der gemeinsamen Welterbestätte stellt ebenfalls eine Herausforderung dar; das Schutzugut ist sehr komplex und die zeitlichen Ressourcen sowie die sprachlichen Unterschiede in den Städten verlangsamen den Prozess manchmal.

Einem möglichen Overtourism, der in manch einer Welterbestätte nicht zu übersehen ist, begegnen wir schon jetzt präventiv in verschiedenen kleineren Arbeitsgruppen. Zur Verkehrslenkung und zur Besucherlenkung sowie zur Ermittlung von Grundlagen für einen Nachhaltigen Tourismus, der den Einwohnern und der Welterbestätte nutzt anstatt schadet, arbeiten wir schon jetzt. Es laufen verschiedene Studien in Bad Kissingen hierzu und wir (das heißt das Site Management/Welterbekoordination der Stadt Bad Kissingen und die Bayerisches Staatsbad Bad Kissingen GmbH) sind in stetigem Austausch, auch mit der internationalen Arbeitsgruppe der Tourismusexperten der verschiedenen Städte und der internationalen Site Manager Gruppe.

Hätten Sie vielleicht auch eine Frage an die Neubürger? Möchten Sie ein Meinungsbild zu einer bestimmten Frage haben?

Ja, habe ich: Wünschen Sie sich mehr Informationen?

Würden Sie sich in Zukunft aktiv einbringen, wenn es um die Ideenfindung und Projektplanungen für das zukünftige Management der Welterbestätte geht?

Welche Bereiche würden Sie dabei besonders interessieren?

Haben Sie eventuell jetzt schon Ideen, Anregungen oder Kritik?

Haben Sie zuvor schon von der Welterbebewerbung gehört, wenn ja wo?

Liebe Frau Boll, ich danke Ihnen für das Interview.

Das Interview führte Anita Schmitt,

Foto: Alexander Deml, Stadt Bad Kissingen